Master of my Feelings

Leseprobe aus Teil 4 der Master-ReiheMaster_Reihe_Cover_4

Zufrieden schaue ich mich in der großen Halle um und muss zugeben, dass sie stilistisch vollendet ist. Die Natursteinwände, die mit einem unterbrochenen Weiß getüncht sind, setzen die Struktur des Mauerwerks so richtig in Szene, dazu lässt der warme Farbton des dunklen Parkettbodens, der dem Raum das gewisse Etwas verleiht, ihn im Gegensatz zu den fast farblosen Wänden edel und harmonisch wirken. Die in den Boden eingelassenen Lampen strahlen die Bilder an den Wänden perfekt an und geben exakt das wieder, was unser Kunde erwartet hat. Der Auftrag lautete: klare Linien, aufeinander abgestimmte Farben, absolut dezent, aber wirkungsvoll. Ich denke, die Vorgaben habe ich alle erfüllt.

Ich muss zugeben, das Loft wirkt durch die dezente Farbzusammenstellung exklusiv und nicht verschwenderisch. Meine Aufmerksamkeit wird auf die große Skulptur in der Mitte des Raumes gelenkt. Sie ist noch mit einem Tuch verhüllt und wartet nur darauf, jeden Moment ihr Antlitz zu zeigen. Langsam nimmt die Besucherzahl derjenigen, die zu dieser Ausstellung eingeladen wurden, zu. Viele der Gäste kommen aus der Politik oder entstammen der oberen Gesellschaftsschicht Bostons. Der Bürgermeister steht mit seiner Frau in einer kleinen Gruppe am Eingang und lächelt mir zu. Er ist ein alter Bekannter meiner Eltern und war schon oft bei ihnen zu Hause zu Besuch.

Die Stimmen der Gäste werden lauter und vermischen sich mit der leisen Hintergrundmusik, die von dem Piano an der Fensterfront herüberweht. »As time goes by«. Die letzten Töne verklingen, bevor der Mann am Flügel die Seite umblättert, um sich dem nächsten sentimentalen Song zu widmen. Keiner der Gäste nimmt auch nur einen Moment den Klang der Musik wahr, stattdessen reden sie alle durcheinander. Aber ich liebe diese sanften emotionalen Balladen. Der Pianist konzentriert sich auf das neue Stück und spult sein Repertoire herunter. Ihm kann es egal sein, er wird für seine Zeit bezahlt. Trotzdem muss es frustrierend sein, nicht gewürdigt zu werden. Ich gehe wie von einem Magneten angezogen zum Flügel und lächle den Mann an, der mir mit einer Geste zu verstehen gibt, dass er das nächste Stück nur für mich spielen wird.

»In the mood« erklingt, ich lehne mich an den schwarzen Klangkörper des Instruments und vergesse für einen Moment, dass ich mich bei einer Charity-Veranstaltung unseres Auftraggebers befinde. Als der Pianist sanft die Hände von den Tasten hebt, bin ich die Einzige, die leise Beifall klatscht.

»Liz«, höre ich meinen Namen und drehe mich in Richtung der Stimme um. Es ist Jake Melone, mein Chef, der auf mich zukommt. Er wirkt gehetzt.

»Jake, du bist spät. Die Eröffnung fängt gleich an.«

»Tut mir leid, dass du warten musstest. Ich hatte noch einen Klienten, du kennst ihn. Der Immobilienmakler, mit der großen Villa in Beacon Hill. Der konnte sich nicht entscheiden, ob er die Wände weiß oder doch lieber farbig haben wollte. Seine schrecklich impertinente Frau war auch dabei«, genervt verdreht Jake die Augen. »Wenn es nach ihr ginge, würden wir jetzt noch diskutieren. Ich kann diesen neureichen Snobs einfach nichts abgewinnen.« Jetzt gleitet sein Blick beeindruckt durch den Raum. »Perfekt.« Dabei lächelt er mich an. »Die Räume sind einfach perfekt. Ich wusste doch, dass du die Beste für diesen Auftrag bist.« Dabei lässt er seinen Blick erneut durch das Loft schweifen.

»Danke für den Zucker, aber ich trinke ohne. Wichtig ist doch nur, dass dein Kunde zufrieden ist, oder?« Dabei stupse ich ihn grinsend an.

»Das wird er sein. Da drüben steht er übrigens.«

Jake deutet mit dem Kopf Richtung Eingang. Ich folge seinem Blick. Ich in gespannt, wer sich hinter Jayden Hunt verbirgt. So was kommt selten vor, dass ich den Klienten erst nach der Fertigstellung kennenlerne. »Welcher von den Dreien ist es denn?«

»Der Mann mit den dunklen Haaren.«

»Die haben alle mehr oder weniger dunkle Haare. Meinst du den Kleinen mit der Nerdbrille, der aussieht wie eine Mischung aus Louis de Funès und Donald Duck?« Dabei muss ich kichern. Auch Jake kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Eine schreckliche Angewohnheit von mir, ständig Gedankenverknüpfungen zu Menschen herzustellen und sie mit anderen Personen zu assoziieren. »Oder meinst du den Großen? Der mit den perfekt gegelten Haaren, der aussieht wie George Cloony, nur mindestens 25 Jahre jünger?«

Jake nickt.

»Genau der. Man sagt ihm sogar nach, dass er Geschäfte mit der Mafia macht«, flüstert er mir leise zu, sodass nur ich es hören kann. »Zumindest ist er an vielen Unternehmungen beteiligt. Keiner weiß genau, wie er zu seinem Vermögen gekommen ist. Es gibt überhaupt sehr wenig, was du über ihn nachlesen kannst, außer dem üblichen Klatsch. Ein Playboy und ein verdammt guter Geschäftsmann. Über seine Vergangenheit ist so gut wie nichts bekannt. Den Mann umgibt eine geheimnisvolle Aura. Aber jeder möchte mit ihm ins Geschäft kommen. Er ist der Gewinnertyp schlechthin.«

»Aha. Bist du fertig mit seinem Dossier?«

Jake wirkt irritiert. Er hat es nicht verdient, dass ich meine schlechte Laune, die mich überkommen hat, als ich das Gesicht unseres Auftraggebers erkannt habe, an ihm auslasse.

»Hey, entspann dich. Wir müssen nicht lange bleiben. Ich dachte, du magst solche Veranstaltungen. Oder liegt es an dem Mann, der seine Aufmerksamkeit schon seit einigen Minuten auf dich gerichtet hat?«, fragt er lächelnd.

Wie Recht Jake doch hat. Aber das werde ich ihm nicht auf die Nase binden und in der Regel mag ich diese Veranstaltungen wirklich. Ich stamme aus einer gut betuchten Familie. Mein Vater ist ein bekannter Arzt im Ruhestand, meine Mutter eine angesehene Autorin und meine beiden Brüder sind erfolgreiche Geschäftsmänner und nicht nur in Boston bekannt. Solche Partys gehören für mich zum normalen Leben. Es liegt auch gar nicht an der Ausstellung, dass meine Stimmung gerade in den Keller gerutscht ist. Es liegt vielmehr am Gastgeber.

»Warum schaut er mich so an?«, will ich wissen, während ich ihn noch für einige Sekunden anstarre, bevor ich mich zu Jake drehe. Jake folgt meinem Blick und sein Grinsen wird breiter.

»Vielleicht gefällst du ihm. Wer weiß das schon.«

»Er gefällt mir aber nicht«, rutscht es mir jetzt heraus, als ich ihn mir genauer betrachte und die Szene unseres ersten Zusammentreffens sich in meine Gedanken projiziert.

»Warum? Er sieht doch fantastisch aus. Genau dein Typ«, stichelt Jake. Sein Lachen kann er sich wirklich schenken. Vorsicht Mr. Melone!, signalisiere ich ihm mit zusammengekniffenen Augen.

»Da muss ich dich leider enttäuschen, er ist ganz und gar nicht mein Typ. Von dieser Sorte Männer habe ich endgültig die Nase voll. Du hast es selbst gesagt, ein Playboy. Danke, mein Bedarf ist gedeckt. Außerdem hatte ich bereits das Vergnügen, ihn kurz kennenzulernen.« Wenn man diese Begegnung überhaupt als Kennenlernen bezeichnen kann.

»Aha. Das wusste ich nicht. Er ist doch erst seit heute wieder in den Staaten. Wann habt ihr euch denn getroffen?«

Ich winke ab. »Ich konnte ja nicht ahnen, wer er ist. Ich erzähle es dir ein anderes Mal. Ist nicht wichtig.« Das hoffe ich zumindest.

»Du machst mich wirklich neugierig, wenn du so eine Abneigung gegen ihn empfindest. Außerdem ist er nur ein Klient. Du sollst ihn ja nicht heiraten.«

»Was?«, rutscht es mir etwas zu laut heraus, sodass die Frau neben mir zusammenzuckt.

Jake zuckt die Schultern. »Ein Sprichwort, sagt man nicht so? Warum regt dich das so auf?«

»Tut mir leid. Ich bekomme heute wohl alles in den falschen Hals.«

»Ich sag dir was! Du brauchst dringend Urlaub.« Dann gleitet Jakes Blick wieder zu unserem Gastgeber. »Na ja, das musst du ihm ja nicht auf die Nase binden.«

»Was soll ich ihm nicht auf die Nase binden?«

»Dass er nicht dein Typ ist und du ihn nicht leiden kannst. Hat er sich etwa über deine Arbeit beschwert? Das kann ich mir gar nicht vorstellen«, grübelt er.

»Nein, ich kenne ihn eigentlich gar nicht. Vergiss es einfach.« Warum habe ich überhaupt davon angefangen und Jake gegenüber Andeutungen gemacht. Jetzt wird er keine Ruhe geben, bis ich ihm alles erzählt habe.

»Er kann schon manchmal ein verdammter Mistkerl sein, was man so hört. Zumindest ist er ein aalglatter Geschäftsmann. Einige behaupten, er sei unnachgiebig und was er will, das nimmt er sich. Ich kann mich nicht beklagen, wir hatten bisher ein gutes Verhältnis. Außerdem ist er sehr großzügig und hilft unbekannten Künstlern, ihre Werke hier auszustellen.«

Ich schaue mich in dem Raum um. Die Bilder, die an den Wänden hängen, sind nicht gerade das, was ich als moderne Kunst bezeichnen würde, aber ich habe auch keine Ahnung von der Szene.

»Ich habe gehört, dass er ein altes Herrenhaus in England gekauft hat, das er renovieren lassen will, um ein kleines exklusives Hotel daraus zu machen«, wechselt Jake das Thema, als ich nicht auf seine Lobeshymnen eingehe. »Schätzchen, wenn wir ihn mit diesem Projekt überzeugt haben, dann winken noch ganz andere Aufträge. Wer weiß, vielleicht vergibt er den Auftrag an unser Büro. Das hier war doch nur ein Test. Sozusagen die Feuerprobe, die wir meiner Meinung nach bestanden haben.«

Immer noch starrt mich unser Gastgeber mit einem geheimnisvollen Grinsen von Weitem an, während Jake unentwegt euphorisch seinen Monolog führt. Unser Kunde ist attraktiv, und das weiß er. Ich hatte den Fastzusammenstoß vor zwei Wochen eigentlich vergessen. Zumindest bis heute, denn jetzt kommt die Szene gerade wieder in meinem Bewusstsein hoch, und ich spüre Ärger in mir aufsteigen. Dieses selbstgefällige Lächeln, das ich ihm am liebsten aus dem Gesicht wischen möchte, erkenne ich sofort wieder. Aber mich wird er nicht um den Finger wickeln.

Braucht er auch nicht, denn die Frauen fliegen nur so auf ihn, was ich gar nicht verstehen kann. Gutes Aussehen kann nicht über seine arrogante Art hinwegtäuschen. Ich muss mich korrigieren, er sieht nicht nur verdammt gut aus, er ist vielmehr der heißeste Typ, der mir seit Langem unter die Augen gekommen ist. Schon wieder drängt sich eine Frau – dieses Mal eine Rothaarige – an seine Seite und lächelt ihn herausfordernd an, um seine Aufmerksamkeit zu erhaschen. Aber er scheint mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. Bei mir, was mir ganz und gar nicht gefällt. Ich wüsste nicht, womit ich sein Interesse geweckt haben sollte.

Womöglich erinnert er sich genau wie ich an unsere erste Begegnung. Ob er weiß, dass ich für die Gestaltung der Räume zuständig war? Ich habe den Auftrag kurzfristig von Jake übernommen, der die Gespräche mit dem Kunden geführt hat. Offiziell vorgestellt wurden wir uns bis jetzt noch nicht, aber wie ich meinen Chef kenne, wird er diesen Umstand in Kürze ändern. Peinlich berührt – warum, weiß ich eigentlich nicht – drehe ich schnell meinen Kopf zur Seite und schenke Jake wieder meine volle Aufmerksamkeit.